Eine kleine Nachtgeschichte
Der Abend legt sich langsam über sie Straßen der Stadt. Der aufgehende Mond und die blassen Sterne waren hinter einer dichten Wolkendecke verborgen auf denen sich das Licht dutzender Scheinwerfer reflektierten. Stetiger Niesel und ein eisiger Herbstwind ziehen durch die dunklen Straßen im Schatten der vielen Hochhäuser, nur erhellt von unzähligen Straßenlaternen und Neonreklamen entlang deines Weges.
Du ziehst deine Kapuze tiefer in dein Gesicht während du deinen Weg zurück nach Hause folgst. Es ist spät geworden. Die Geschäfte laufen gut und dies ist bereits der dritte Tag in Folge an denen du Überstunden leisten musstest. Normalerweise treibst du dich nicht mehr so spät auf den Straßen herum. Der beißende Wind fuhr dir durch deine Kleidung so dass du in einer kleinen Seitengasse Schutz vor dem Wetter suchst.
Dein Blick fährt durch die menschenleere Gasse als du dich gegen eine Wand drückst, um den kalten Wind zu entgehen. Plötzlich erregt etwas deine Aufmerksamkeit. Eine seltsame Gestalt sitzt an der Hauswand dir gegenüber. „Warum ist mir diese nicht schon vorher aufgefallen?“ denkst du bei dir. Die Person sieht ungewöhnlich aus. Ihre Kleidung scheint in der Zeit des Wilden Westens hängen geblieben zu sein. Eine schlichte Jeans, ein einfaches Hemd und eine Lederweste darüber. Dazu ein Cowboyhut, welcher so tief ins Gesicht gezogen ist, dass du selbiges darunter nicht erkennen kannst. „Erzähle Geschichten für eine kleine Gabe“ steht auf einem Schild neben steht neben ihr geschrieben. Während du die seltsame Gestalt aufmerksam beobachtest greift du in deine Tasche. Ein wenig Wechselgeld von der letzten Kaffeepause befindet sich noch immer darin. Langsam näherst du dich einer aufgestellten Schale und beugst dich vorsichtig nieder stets bereit im Falle einer Gefahr zu reagieren. Sanft klimpern die Münzen in die Schale. Doch nichts passiert. Mit einer leichten Enttäuschung lehnst du dich wieder zurück an die Wand.
„Kennst du die Geschichte vom weisen Narren?“ Die Frage schreckt dich auf. Die Stimme klang männlich, doch deutlich jünger als du erwartet hattest. Nichtssagend schüttelst du mit den Kopf und obwohl du sicher bist, dass dich der Mann durch seinen Hut hindurch nicht sehen konnte, führte dieser seine Ausführungen fort. „Nun manche nennen ihn auch 'Den maskierten Verrückten' oder 'Der Sucher der unausgesprochenen Geheimnisse' er trägt viele Namen, aber die meisten kennen ihn unter den Namen Harleking.“ Erneut schüttelst du deinen Kopf. Von jemand dieses Namens hattest du noch nie etwas gehört. „Nun“ erwiderte der Mann. „Setze dich doch und lausche, was ich zu erzählen habe.“ Verdutzt schaust du auf die Stelle, welche dir der Mann deutet. Dir war der alte Stuhl vorher überhaupt nicht aufgefallen. Er war rostig und verbogen und sah aus, als könnte er jeden Moment zusammenbrechen. Doch die Sitzfläche war trotz des seit Stunden anhaltenden Nieselns auffällig trocken. Zögerlich setzt du dich auf das klapprige Gestell welches unter deinem Gewicht ein unangenehmes Knarzen von sich gab.
„Es heißt er sei älter als der Anbeginn der Zeit..“ Du schaust verdutzt drein. Eine Geschichte mit diesen Anfang scheint nicht gerade von hoher Seriosität geprägt zu sein. Und als wenn er auf deinen Gesichtsausdruck reagieren würde wendete der Mann ein: „Nun tu nicht so verwundert junger Freund. Wer sind wir, deren Erinnerung an die Geschichte nur wenige Jahrhunderte zurück reicht denn schon, dass wir uns ein Urteil über einen Zeitraum wie den Anbeginn der Zeit erlauben würden.“ Gegen dieses Argument hattest du dann doch nichts einzuwenden. Gespannt wartest du darauf, wie die Geschichte denn weitergehen würde. „Manche nennen ihn einen Helden, der verlorene Kinder aus Gefahren rettet. Andere einen verrückten Irren, der ganze Dörfer nur zum Spaß in den Wahnsinn treibt. Am Ende entsprechen beide Versionen der Wahrheit. Es heißt, er sei wie das Chaos. Einige denken sogar, er wäre eine Inkarnation des Chaos. Denn wie das Chaos kennt er in seinen Aktionen kein Gut und kein Böse.“ Du schüttelst erneut ungläubig mit den Kopf. „Und was ist er nun genau?“ fragst du. Mit einer ausschweifenden Handbewegung setzt der Geschichtenerzähler seine Ausführungen fort. „Das mein Freund, ist eine gute Frage. Genau so wie er viele Namen hat, so hat er auch viele Gestalten. Manchmal erscheint er als ein Engel mit drei weißen und drei schwarzen Flügeln. Manchmal als hölzerne Marionette. Und manchmal sogar als humanoide Katze. Es ist noch nicht einmal sicher, dass er wirklich ein Er ist. Einige Male soll er auch schon als Frau erschienen sein. Er ist ständig im Wandel und wie sein Handeln und seine Motive sich ständig zu ändern scheinen, so scheint sich auch sein Aussehen ständig zu wandeln.“ „Und woher weiß man dann, dass es sich jedes Mal um die gleiche Gestalt handelt?“ Wirfst du ein. „Es ist seine Maske!“ erwiderte der Mann. „Egal in welcher Gestalt er sich befindet, seine Maske bleibt immer gleich. Es ist die Maske einer Katze. Geformt aus puren Silber. Und man sagt, sie diene dazu, die unendliche Dunkelheit zu verbergen, welche sich dahinter befindet und welche direkt in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Seele führen würde.“ „Und wenn man ihm seine Maske abnehmen würde?“ fragst du sichtlich interessiert. „Davon“ entgegnet dein Erzähler „würde ich dringend abraten. Jene die es versucht haben, waren nicht mehr die gleichen wie zuvor.“
Plötzlich stand der Mann auf und nahm seine Schale in die Hand. „Nun junger Freund. Ich denke du hast heute noch mehr zu tun, als dir meine Geschichten anzuhören.“ Verdutzt schaust du auf deine Uhr. Dir war nicht bewusst, wie viel Zeit bereits vergangen war. Der seltsame Mann ging tiefer in die Seitengasse. „Keine Angst. Ich bin sicher wie werden uns wiedersehen. Und wer weiß..“ der Mann drehte sich um und schob mit einen Lächeln seinen Cowboyhut nach oben. Eine silberne Maske kam darunter zum Vorschein. „.. vielleicht erzählst du mir beim nächsten Mal deine Geschichte.“ Eiligst rannte die Gestalt um die Ecke der Gasse noch bevor du reagieren und aufstehen konntest. Erst nach einigen Sekunden hattest du dich gefasst und erhobst dich von den alten Stuhl, welcher mit einen Krachen zusammen brach. Mit festen Schritt liefst du den Mann hinterher. Die Straße erwies sich als Sackgasse doch war von deinem Geschichtenerzähler keine Spur mehr zu finden. Langsam und ungläubig trottest du zurück Richtung Hauptstraße. Auf dem Platz, an dem sich so eben noch der Mann saß lagen unzählige Mülltüten und das Schild wies an, keine Abfälle abzuladen. Du fragst dich, ob du alles vielleicht nur geträumt hast, als plötzlich eine bekannte Stimme in deinen Gedanken ertönt. „Denk stets daran. Es gibt immer mehr als eine Wahrheit. Mache dir stets eigene Gedanken und glaube nicht immer, was dir andere erzählen. Und ich bin mir sicher, du wirst deine eigene Wahrheit finden.“
Mit einen Lächeln auf den Lippen machst du dich, durch die Schatten der Hochhäuser, die Lichter der Straßenlaternen und den langsam nachlassenden Niesel, zurück auf den Weg nach Hause.