Traumdämon (Teil 2) - Mune Fanfiction (deutsch)
by Kip Supernova
Die Worte, die sie ihm hinterhergebrüllt hatten, hallten immer noch in seinen Ohren wider ... und drangen in seinen Kopf, der halb im eiskalten Wasser lag. Alb´s Körper ruhte für einige Momente in Wasser, bis die Strömung ihn erfasste und weiter den Fluss entlang trug. Dabei wurde der magere Körper des weißen Fauns herumgewirbelt, sodass sein Gesicht manchmal unter Wasser, dann wieder an der Oberfläche war. Doch all das bekam Alb nicht mit - er war ohne Bewusstsein, und trieb einen schmalen, aber schnell fließenden Fluss immer schneller auf einen rauschenden Wasserfall zu.
Das Licht des Mondes schimmerte auf der Oberfläche des Wassers und verwandelte es in ein Spiel aus weißen, blauen und leicht violetten Farben, die auf sein schneeweißes Fell reflektierten.
Der Mond ... flüsterte etwas in seine Gedanken, die sich halb im Wach- halb im Traumzustand befanden. Es war, als stünde er in einer halb geöffneten Tür, durch die gerade so viel Licht in einen ansonsten von tiefer Dunkelheit erfüllten Raum drang, um wage Konturen zu erkennen ... und diese wagen Konturen bewegten sich und hatten die Umrisse von humanoiden, aufrecht gehenden Wesen, die sich langsam, sehr langsam auf ihn zubewegten. Alb überkam Angst ... und diese Angst fühlte sich kalt und lähmend an ...
Mach deine Augen auf ... was war das für eine Stimme? Sie klang weich, gütig, fremd und vertraut zugleich ... die Gestalten aus der Finsternis, sie schienen selbst nur als Schwärze zu bestehen, und ihre Umrisse sahen wie sehr fein gezogene Linien aus Kreide aus. Sie bewegten sich auf Alb zu ...
Ich darf nicht einschlafen ... ich darf nicht träumen ... sie bringen mich sonst um ...
Alb lag mit dem Rücken auf der Wasseroberfläche und schien regelrecht zu schweben. Seine halboffnen Augen - er sah den Mond am Himmel, doch gleichzeitig den dunklen Raum mit den dunklen Gestalten aus fein gezeichnenten Kreidelinien - erblickten zuerst den Mond, dann wurde er plötzlich verdeckt von einem riesigen Geschöpf, welches sehr schwer, groß und ungetüm aussah, sich jedoch auf sehr langen, dünnen Beinen anmutig und scheinbar leichtfüßig zu bewegen schien.
Der Tempel ... ich sehe den Tempel des Wächters des Mondes ... oder ist es ein Traum?
"Reiche mir deine Hand, schnell!"
Alb vernahm zwar den Klang der Worte, der sich sehr aufgeregt anhörte, jedoch fand er nicht die Kraft, seine Arme zu heben, geschweige denn, irgend etwas oder jemanden zu greifen. Durch seine müden Augen sah er von einem Schleier der Benommenheit verdeckt zwei große, dunkelblaue Augen in einem zarten, anmutigen Gesicht, welches von blauem Haar und zwei riesigen Ohren umspielt wurde.
Aus dem halboffenen, dunklen Raum packte ihn eine der Gestalten am Arm und zerrte daran.
"Der Mond", flüsterte Alb und Tränen stiegen in ihm hoch. "Bitte, hilf mir ..."
***
Mune hockte auf der Schnabelspitze des Tempels, welcher seinen Kopf weit nach unten beugte und dabei beinahe die Oberfläche des Wassers berührte. Der magere, sehr zerbrechlich aussehende Körper des weißen Fauns schwebte praktisch auf dem Wasser - die weißen Mondseide-Spinnen konnten gerade noch rechtzeitig die Strömung des Wasserfalls so weit verlangsamen, dass der weiße Faun nicht in die Tiefe stürzte.
Sie sponnen feine Stränge aus Mondseide vom Bauch des Tempels zu den Felsen, der rechts und links nebem dem Wasserfall herausragten und sprangen auf der Seide unermütlich auf und ab, sodass durch die Virbration nicht nur eine schöne, beruhigende Melodie, sondern auch ein Kraftfeld erzeugt wurde, welches den Fluss des Wassers regelrecht einfror.
Mune beugte sich so weit er konnte nach vorne. "Reiche mir deine Hand, schnell!" rief er dem weißen Faun abermals zu, denn ein Gefühl sagte ihm, dass die Mondseide nicht lange halten würde. Und dann würde er vielleicht niemals erfahren, warum dieser geheimnisvolle, weiße Artgenosse, der ihn schon seit Nächten durch seine Träume verfolgte, ausgerechnet hier im Fluss lag.
Es schien nichts zu nützen - Mune spürte, dass der weiße Faun in einer Zwischenwelt zwischen Traum und Wachzustand gefangen war. Die rote Stelle an seinem Kopf wies auf eine Verletzung hin. Wenn der weiße Faun ein Traumwandler war, wovon Mune ausging, dann konnte eine Verletzung an seinem Kopf ihn in eine Art Dämmerzustand versetzt haben. Das hieß im Klartext: Dieser Faun konnte gerade Traum und Realität nicht unterscheiden.
"Dann eben auf die altmodische Art und Weise."
Mune klammerte sich mit seinen langen, dünnen Beinen um die Spitze des riesigen Schnabels seines Tempels, hing kopfüber herunter direkt vor dem Gesicht des weißen Fauns.
"Du hast nur einen bösen Traum", sagte Mune und rieb das dunklere Fell seiner Unteramrme aneinander. "Und die vertreibe ich dir jetzt. Denke an was Schönes, denke an den, den du liebst. Er ist jetzt bei dir."
***
Die dunkle Gestalt, die eben noch Alb´s Arm festhielt, ließ abrupt los und kreischte wie ein erschrockenes Tier, das man mit Feuer vertreiben wollte. Als sah den anderen Faun mit seinen großen, gütigen Augen und blaue und violette Funken, die schimmernd und glitzernd auf ihn herabregneten.
Denke an was Schönes, denke an den, den du liebst. Er ist jetzt bei dir.
"Bei mir", flüsterte Alb und lächelte. Mit einem Male wich die Kälte der Dunkelheit von ihm, die Tür zu dem finsteren Raum fiel mit einem lauten Knall zu, die Wesen aus Schwärze und dünnen Kreidelinien ... sie waren verschwunden.
Rauschen von Wasser drang in Alb´s Ohren, genauso wie der pochende Schmerz seiner Kopfwunde. Sein fand wieder seine Kraft - Alb streckte seine Pfote nach dem blauen Faun, der da kopfüber scheinbar in der Luft über ihm hing, packte sie und ließ sich hochziehen.
Beide, Alb und der blaue Faun, der eben noch aus dem Fell seiner Arme hatte blauen Glitzer regnen lassen, fanden auf einem langen, schmalen Felsen Halt - ein "Felsen", der in Wirklichkeit der riesige Schnabel eines noch riesigeren Geschöpfes war. Doch das nahm Alb nicht wirklich wahr; er lag keuchend auf dem Bauch, versuchte sich aufzurappeln, schaffte es aber nicht.
Er drehte seinen Kopf und sah den blauen Faun, welcher ihn scheinbar gerade gerettet hatte, in die Augen. "Wer ... bist du es ...", stammelte Alb, dann spürte er, wie die Kräfte wieder seinen Körper verließen und er abermals das Bewusstsein verlor.
Mune konnte ihn gerade noch festhalten, bevor Alb stürzte. Er strich Alb durch das schneeweiße Fell und flüsterte. "Ja, ich bin es."
Er trug ihn behutsam zum Eingang des Tempels, während die Mondseide-Spinnen ihm folgten.
Der Tempel setzte sich wieder in Bewegung, und mit ihm der Mond, den er hinter sich herzog.