Kapitel 8 – Die Katze ist aus dem Sack
Copyright 2017 by Simplemind
Auf der Suche nach ein paar leckeren Nagern, streifte Dexter am Waldrand entlang, der an eines der Kornfelder des Bauern angrenzte. Zu dieser Zeit trieben sich dort oft Mäuse, Eichhörnchen, Hamster, Marder, Kaninchen oder andere Leckerbissen herum, um nach dem Getreide und Samen zu suchen. Wenn Dexter Tod schon nicht fressen konnte, dann wollte er wenigstens versuchen, ein paar von seinen Freunden oder Verwandten zu erwischen.
Doch noch bevor er auch nur einen der schmackhaften Appetithäppchen zu Gesicht bekam, tauchte eine ganz bestimmte Maus wieder auf – Tod!
Unter dem alten Holzzaun sitzend, der den Acker umschloss, streckte er dem Fuchs die Nase entgegen. „Na, Dex, wie geht’s?“
„Bis eben gerade noch gut“, brummte er und setzte sich vor der Maus hin. „Was willst du jetzt schon wieder?“
„Och, unsere letzte Begegnung verlief ja nicht so besonders, da dachte ich, ich sehe mal nach, ob du dich wieder beruhigt hast.“
Die Fürsorge der Maus rührte Dexter herzlich wenig. „Es würde mir noch viel besser gehen, wenn du wieder verschwinden würdest, Tod“, sagte er ihm ins Gesicht. „Was ist bloß über dich gekommen, vor meinem Bau aufzukreuzen? Und dann auch noch, während Marty da war?“
Die kleine Maus legte den Kopf zur Seite. „Naja, meinem plötzlichen Besuch lag halt eine gewisse Dringlichkeit zugrunde. Verstehst du?“
„Und liegt diesem ‘plötzlichen Besuch‘ auch wieder eine gewisse Dringlichkeit zugrunde?“, fragte Dexter, obwohl er die Antwort bereits zu wissen glaubte.
Tod lächelte. „Du fängst langsam an, unser Spielchen zu verstehen, Dex.“
Ermattet von Tods ‘Spielchen‘ ließ der Fuchs seine Vorderpfoten über den Boden rutschen und legte sich auf den Bauch. Auf Tod nahm er dabei natürlich keine Rücksicht, sodass der Mäuserich schnell mit ein paar Sprüngen zurücksetzten musste. Beleidigt, gekränkt und der Wut langsam überdrüssig, legte Dexter seinen Kopf zwischen die Pfoten und beobachtete die Maus, die sich wieder vor ihm auf die spindeldürren Hinterbeinchen stellte.
„Nun schau doch nicht so lustlos drein“, sagte Tod und trat einen Schritt näher an die große, schwarze Fuchsnase heran, die ihm einen Hauch warme Luft entgegenstieß. „Diesmal hast du auch was von der Sache!“
Skeptisch zog der Rotfuchs die Augenbraue hoch. „Und was sollte das sein?“
„Unter meinem Lieblingseichenbaum“, erklärte Tod, „da, wo es diese leckeren Eicheln gibt, hat sich eine fette Kreuzotter eingenistet, die versucht mich zu fressen, wann immer ich dort auf Nahrungssuche gehe.“
„Und was genau soll ich jetzt tun?“
„Sie fressen natürlich!“, antwortete die Maus, als hätte es dem Fuchs bereits klar sein sollen. „Ich locke sie raus, du schnappst sie dir und wir beide haben was zu knabbern. Jeder gewinnt!“
Schlangen fraß Dexter eigentlich nicht besonders gerne, andererseits war an einer Schlange aber auch mehr dran, als an ein paar mageren Mäusen. Aber wie auch immer. Auf keinen Fall sollte er Tod so leicht nachgeben. Er war doch nicht sein Haustier!
Protestierend setzte er zum Konter an: „Also das...“, doch wurde er jäh unterbrochen.
„Na was haben wir den hier?“, fragte plötzlich eine höhnische Stimme über den beiden.
Sofort sprang Dexter auf, um zu sehen, wer da gesprochen hatte. Ein paar Schritte das Feld hinab, balancierte Minka, die Katze des Bauern, über den alten Holzzaun ein Stück auf sie zu. Die Katze, die er so oft schon durch den Wald gehetzt hatte.
Gehässig grinste die Katzendame auf das ungleiche Paar herab, während ihr Schwanz hinter ihr hin und her schwenkte, um das Gleichgewicht zu halten. „Da schleicht man, still und heimlich, seinem Mittagessen hinterher und dann führt es einen zu seinem besten Freund: einem Fuchs!“
Schwer in Panik geratend rasten Dexters Gedanken in seinem Kopf. Wie viel hatte die Katze gehört? Was wusste sie? Und was sollte er nun tun?
„Und nicht nur das!“, fuhr Minka fort. „Dann höre ich auch noch mit an, wie sie – GEMEINSAM – einen hinterlistigen Plan aushecken, um ein Tier des Waldes zu töten!“ Triumphierend ragte sie mit dem Kopf auf und lachte Maus und Fuchs niederträchtig an: „Was wohl die anderen Tiere dazu sagen werden?“
Grimmig, aber immer noch beherrscht, setzte sich Dexter zur Wehr: „Ich weiß ja nicht, was du glaubst gesehen oder gehört zu haben, aber...“, wieder unterbrach ihn die Katze.
„Aber was?!“, fauchte sie ihm entgegen. „Nein, nein, warte! Spar dir das lieber noch auf. Wenn ich erst Hektor davon erzählt habe, wirst du dich schon bald auf einer eurer lustigen Versammlungen vor allen Tieren des Waldes erklären müssen.“
„Gar nichts wirst du Hektor erzählen!!!“, knurrte Dexter zurück.
Aber die Katze schien sich ihrer sicher. „Ach ja? Versuch doch, mich davon abzuhalten!“ Und mit dem letzten Wort sprintete Minak über den Zaun, machte einen großen Satz und zischte in Richtung Wald.
Sofort nahm Dexter die Verfolgung auf. Tod versuchte noch ihm hinterher zu rufen, aber der Fuchs hatte nur noch ein Ziel vor Augen: Die Katze zu erwischen, bevor sie sein Geheimnis ausplaudern konnte. Und dieses Mal würde es keine Abmachungen und keine Erpressungen geben! Dieses verlauste Haustier würde er für immer zum Schweigen bringen!
Minkas Vorsprung hatte er schnell wieder aufgeholt, aber die Katze war verflixt schnell, und dazu auch noch kleiner und wendiger als Dexter. Was die Hatz für den Rotfuchs nicht gerade einfacher machte war außerdem, dass Minka, wann immer möglich, versuchte ihn abzuhängen, indem sie sich ihren Weg durch das Dickicht suchte, wo der größere Fuchs ihr schwerer folgen konnte. Immer wieder versperrten ihm Äste und Buschwerk den Weg – Hindernisse, an denen sich die Katze mit ihrem geschmeidigen Körper leicht vorbeizwängen konnte.
Aber so leicht ließ Dexter sich nicht abschütteln! Blind vor Wut stürmte er durch jedes Hindernis hindurch, egal wie viele Blätter und Ranken ihm ins Gesicht peitschten und egal wie vielen Ästen er ausweichen musste. Schnaubend mobilisierte er all seine Kräfte und zwang seine Beine schneller zu rennen. Das kochende, pulsierende Blut in und der rauschende Wind um seine Ohren war das einzige, was er noch hören konnte, und das einzige was er noch sah, war das graue Hinterteil seiner Beute, welche immer noch nicht nahe genug war, um sie greifen zu können.
Im letzten Moment dann, sprang Minka einen Baum an und schlug ihre Krallen in die Rinde. In Windeseile kletterte sie, fast wie ein Eichhörnchen, den senkrechten Stamm empor und brachte sich auf einem hohen Ast in Sicherheit. Nur Sekundenbruchteile, bevor Dexter den Baum erreichte und ihn keifend ansprang.
Doch mit den scharfen Klauen der Katzendame konnten seine stumpfen Krallen nicht mithalten. Mit seinen Pfoten fand er an dem glatten Stamm keinen Halt und so war Minka nun unerreichbar für ihn. Verzweifelt und außer sich sprang er wieder und wieder den Baum an und landete ein ums andere Mal unsanft auf dem harten, staubigen Boden.
Als sein letzter, fruchtloser Versuch, die Katze zu erreichen, damit endete, dass er schmerzhaft mit der Flanke voraus auf einer hervorragenden Wurzel landete, wurde Dexter klar, dass er so nicht an sie herankommen würde. Zornig funkelten seine Augen Minak an, als er den Stamm hinaufknurrte: „Glaubst du etwa, da oben bist du sicher?! Ich warte hier so lange, bis du wieder runter kommst!“
Zufrieden grinste Minka zu ihm hinunter. „Ach, ist das so?“, fragte sie während sie triumphal auf ihrem Ast hin und her schlenderte. „Hast du dich mal umgesehen?“
Aus seinem Verfolgungsrausch erwacht, stellte Dexter fest, dass er tatsächlich nicht darauf geachtet hatte, wo er hingeführt wurde. Nun aber eröffnete sich ihm die bedrohliche Realität. Der Baum, auf den sich Minak retten konnte, grenzte direkt an das Anwesen des Bauern an. Der Weg, den sie genommen hatten, musste dicht am Waldrand entlanggeführt haben, dort, wo die Felder und Weiden des Bauernhofes begannen.
Plötzlich fing die garstige Katze laut an zu rufen. „Charly!“, miaute sie von ihrem Ast aus. „Charly, wo bist du? Komm schnell her! Der Fuchs ist wieder da!!!“
Keinen Augenblick dauerte es, bis von dem Hof her das Gebell des Wachhundes zu hören war. Grauenvoll knurrend und die Zähne fletschend starrte Dexter die verhasste Katze noch einmal an, und wenn Blicke töten könnten, wäre sie gewiss in diesem Moment vom Baum gefallen.
„Man sieht sich, Flohpelz!“, frotzelte Minka, endlich ihres Sieges sicher.
Bedauerlicherweise war auch Dexter dazu gezwungen, den Triumph der Katze anzuerkennen. Um dem Köter des Bauern in seinem erschöpften Zustand noch entkommen zu können, blieb ihm nichts anderes übrig als unverzüglich den Rückzug anzutreten.
Vielleicht, dachte er, als er schmachvoll vom Jäger zum Gejagten wurde, wäre es besser gewesen, sich dem Hund zu stellen? Einen Kampf hätte er zwar nicht mehr gewinnen können, aber sein Leben war nun ohnehin vorbei...